Zurück auf die Schulbank?

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Von wegen! Auch wer dem Schul- und Ausbildungsalter schon lange entwachsen ist, kann einen Abschluss nachholen, einen neuen Beruf erlernen oder ein Studium aufnehmen.

Nach ihrer Arbeit in einem Modegeschäft bleibt Karin G. eine gute halbe Stunde Zeit für ein Sandwich und den Weg zur Abendschule. Um 18.30 Uhr beginnt der Matheunterricht, danach folgen zwei Stunden Englisch. Am nächsten Abend steht eine Deutschklausur an.

Die engagierte Münchnerin will im nächsten Sommer ihre Abiturprüfung ablegen. Die Doppelbelastung tagsüber Job und abends Schule hat sie dann dreieinhalb Jahre durchgehalten. Um die viele geopferte Freizeit tut es ihr aber nicht leid: „Natürlich kommt im Moment das Privatleben viel zu kurz, aber ich möchte mir beweisen, dass ich das schaffen kann. Vor 15 Jahren habe ich die Schule in der elften Klasse abgebrochen – aus reiner Faulheit, um ehrlich zu sein. Danach habe ich eine Lehre als Zahnarzthelferin begonnen und ebenfalls nicht abgeschlossen. Heute arbeite ich als Verkäuferin, aber das reicht mir einfach nicht mehr. Ich habe begriffen, dass ich mehr erreichen will und kann. Wenn ich das Abitur in der Tasche habe, stehen mir ganz andere Möglichkeiten offen. Entweder ich lerne einen neuen Beruf oder ich gehe sogar an die Uni.“

Der Zweite Bildungsweg

Das Abendgymnasium führt berufstätige Erwachsene über einen drei- bis vierjährigen Abendunterricht zum Abitur. Die Zulassungsvoraussetzungen unterscheiden sich je nach Bundesland. Im Allgemeinen muss der Abendgymnasiast mindestens 19 Jahre alt sein, eine Berufsausbildung vorweisen können oder drei Jahre im Beruf gearbeitet haben. Neben dem Abi können auch die Fachhochschulreife, der Real- und der Hauptschulabschluss an Abend-, Volkshoch- und Fernschulen nachgeholt werden. Die Kosten variieren je nach Bildungsträger.

Wie Karin G. nutzen vor allem Frauen den Zweiten Bildungsweg, um einen Schulabschluss nachzuholen. Viele von ihnen kommen nach einer längeren Familienauszeit zurück auf die Schulbank. Sich neue Perspektiven zu schaffen, bessere Chancen im Beruf zu erlangen oder sogar ein Studium zu beginnen und sich einen lange gehegten Berufswunsch zu erfüllen, das sind die Ziele, die fast alle Abendschüler erreichen wollen. Dabei blicken Sie auf unterschiedlichste Biografien zurück.

Arbeit und Lernen

Seinem Leben eine neue Richtung geben, will auch Marko Maier aus Erding. Der 25-jährige Industriekaufmann arbeitet bei einem mittelständischen Telekommunikationsunternehmen und studiert nebenbei an der Fernuniversität Hagen BWL. „Auf die Idee, ein Fernstudium aufzunehmen, bin ich gekommen, nachdem meine Schwester nebenberuflich einen Fernlehrgang der IHK zur Beraterin für Finanzdienstleistungen abgeschlossen hat. Das hätte mich auch interessiert, aber ich möchte unbedingt einen Uni-Abschluss. Die Anforderungen des BWL-Studiums sind zwar hoch, mittlerweile habe ich aber einen guten Rhythmus zwischen Arbeit und Lernen entwickelt und bringe die nötige Selbstdisziplin auf.“

Berufswünsche realisieren

Die Angebote für eine Weiterqualifizierung von Erwachsenen sind zahlreich. Dabei steht es dem Einzelnen offen, einen Abschluss nachzuholen, sich in seinem ursprünglich erlernten Beruf weiterzubilden oder eine neue Richtung einzuschlagen. In jedem Fall gilt, dass die Einhaltung der traditionellen Abfolge Schule, Ausbildung, Beruf längst nicht mehr Pflicht ist, sondern durch lebenslanges Lernen abgelöst wird. Was heute zählt, sind Flexibilität und die Bereitschaft, sich beruflich immer wieder zu verändern und weiterzuentwickeln, um am Arbeitsmarkt nicht irgendwann den Anschluss zu verpassen. Mit dieser Notwendigkeit gehen aber gleichzeitig auch neue Chancen einher, denn es entsteht ein gesellschaftliches Umfeld, das die Erfüllung von Berufs- und Karrierewünschen auch noch zu einem späteren Zeitpunkt des Lebens zu etwas Selbstverständlichem macht!
Nach dem Abitur entschied sich Marko Maier gegen ein Studium: „Ich hatte damals vom Lernen einfach genug und wollte Geld verdienen. Heute habe ich schon Berufserfahrung gesammelt und kann mit dem, was an der Uni gelehrt wird, sehr viel mehr anfangen. Und mein wirklicher Berufswunsch hat sich mittlerweile auch sehr viel klarer herauskristallisiert, als noch vor fünf Jahren: Ich möchte unbedingt mein eigenes Unternehmen gründen!“